vom: 04.10.2017
Mein typischer Morgen schließt etwas Zeit auf dem Laufband ein, aber offensichtlich lasse ich das oft aus. Meistens wache ich auf, checke meine E-Mails und mache mich dann an die verschiedenen Interviews, Fragen und Telefonanrufe, die das Autorendasein mit sich bringen. Ich versuche immer eine Stunde täglich fürs Lesen zu blockieren. Autor zu sein, ist Arbeit und Lesen hilft mir, meinen Kopf einzustimmen.
Wenn ich an einem Buch arbeite, sieht mein Programm ganz anders aus. Ich fahre zwei Stunden von Atlanta in die Blue Ridge Mountains, wo ich eine Hütte habe, die mein Vater für mich gebaut hat. Ich sitze in einem alten Fernsehsessel, der schon bessere Tage gesehen hat, nehme meinen Laptop auf ein Kissen in meinen Schoß und beginne mit der Arbeit. Das erklärt meine verlockenden c-förmigen Hängeschultern.
Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich einen sehr ausgeglichenen Arbeitstag habe, aber alles was ich tue, ist morgens aufstehen, mit dem Schreiben anfangen und aufhören, wenn ich nicht mehr sehen oder denken kann. Manchmal können das 12 bis 16 Stunden sein (mit ein paar Nickerchen zwischendurch) oder vier Stunden (mit noch mehr Nickerchen). Ich arbeite jedenfalls am Besten für mich allein. Ich verstehe nicht, wie Leute in Cafés arbeiten – oder schlimmer noch – in der Mitte eines Kapitels befindlich einfach aufhören können. Ich schätze, da kommt meine obsessive Zwanghaftigkeit zum Tragen.
Meine Freundin Sarah Waters sagte, dass Schreiben zehn Minuten wahren Rausches ist – die Momente, in denen du sagst „Sie werden dies tun und dann passiert das und dann das“, aber der Rest ist einfach harte Arbeit. Dem stimme ich zu. Mein Hirn wälzt ständig Ideen herum (stellen sie sich einen Trockner vor) und schließlich kommt etwa dabei heraus. Meistens sind das Flusen, aber manchmal dringt die Einleitung für ein Buch an die Oberfläche. Von da an beginne ich mit dem Gestalten der Geschichte, meistens auf Notizzetteln oder Papierschnipseln, die gerade zur Hand sind. Ich skizziere nicht, aber irgendwie verbinde ich Dinge durch Dialoge und Beobachtungen.
Wenn ich ein Will-Trent- oder Sara-Linton-Buch schreibe, fällt es mir leicht, die Charaktere zu schreiben, denn ich kenne sie schon so lange und die Herausforderung ist, etwas Neues auf glaubhafte Weise über sie zu sagen (Will kann zum Beispiel nicht plötzlich offenbaren, dass er die ganze Zeit über schon an Bürgerkriegs-Aufführungen teilnimmt). Bei so einem Projekt wie „Die gute Tochter“ muss ich eine Weile über die Charaktere nachdenken und meinem Kopf gestatten, sie kennenzulernen. Das Besondere an diesem Roman ist, dass keine Polizisten die Geschichte erzählen. Wenn man die Perspektive eines Polizisten einnimmt, kann man ihn oder sie Zeugen befragen, forensische Untersuchungen anschauen oder Spuren verfolgen lassen. Die Charaktere in „Die gute Tochter“ sind Anwälte, also haben sie Zugang zu ganz anderen Informationen und müssen nach anderen Regeln spielen als Ermittler, was die Geschichte vorantreiben kann.
Wenn ich einen Roman beendet habe, gehe ich zurück und lese den Text noch einmal, um sicherzugehen, dass sich der Anfang wie der Anfang, die Mitte wie die Mitte und das Ende wie das Ende anfühlt. Das klingt, als wäre das selbstverständlich, aber ich möchte, dass sich das Tempo meiner Bücher richtig „anfühlt“, denn wir alle haben doch schon Bücher gelesen (insbesondere auf E-Readern), bei denen wir uns in der Mitte befanden und dachten: „Wie lange geht das denn noch so weiter?“ Ich möchte, dass der Leser jeden Teil der Geschichte fühlt und im Rhythmus der Erzählung gefangen wird und so stelle ich sicher, dass all diese Dinge dort funktionieren, wo sie funktionieren sollen.
Ist das Buch schließlich fertig, schicke ich es dem Lektor und bete. Dann feiere ich für gewöhnlich mit einem Cupcake und betrete die Welt der Lebenden wieder.
„Aus dem Amerikanischen von Daniela Zielberg / buchreport“